from der spiegl
22.05.2012
Gerhard Ittner in Auslieferungshaft Neonazi in Wartestellung
Von Julia Jüttner
Der Prozess endete am 29. März 2005 mit einem Paukenschlag. 17 Tage
lang war Gerhard Ittner brav vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts
Nürnberg-Fürth erschienen. Am Tag der Urteilsverkündung blieb er fort -
und wurde wegen Volksverhetzung, Verunglimpfung von Verfassungsorganen,
Beschimpfung von Religionsgemeinschaften und Verbreitung von
Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen in Abwesenheit zu
zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.
Der 53-Jährige, einschlägig vorbestraft, hatte bei einem Aufmarsch im
September 2003 an die NS-Reichsparteitage erinnern wollen und von der
Bühne aus ausländerfeindliche Parolen ins Mikrofon gebrüllt. Laut
Staatsanwaltschaft hat er in seiner Rede am Nürnberger Frankenstadion
"den größten Verbrecher, Adolf Hitler, in Tonfall und Gesten
nachgeäfft".
Für Ittner wird die Bundesrepublik Deutschland, ein illegitimer
Staat, von "Vasallen Israels" und einer "Kriegsverbrecherriege" regiert.
Einer Staatsanwältin drohte Ittner mit der Todesstrafe wegen
Hochverrats, sobald er und seine Gesinnungsgenossen den "Zusammenbruch
des BRD-Regimes" bewirkt hätten.
Sieben Jahre lang fahndete die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit internationalem Haftbefehl nach Ittner, seit Anfang Mai sitzt er nun im portugiesischen Beja in Auslieferungshaft.
Ende März hatte die Staatsanwaltschaft die Nachricht erhalten, dass Ittner lokalisiert werden konnte, wie Oberstaatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke erklärt. Daraufhin habe die Behörde umgehend einen Europäischen Haftbefehl an Portugal geschickt und um Festnahme und Auslieferung gebeten. Am 11. April wurde Ittner festgenommen, die portugiesischen Behörden müssen nun prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Auslieferung vorliegen. "Wir warten auf die Entscheidung aus Portugal", so Gabriels-Gorsolke.
"Hassgeblendeter Demagoge"
"Ich gebe zu diesem Thema keine Auskunft", sagt Rechtsanwalt Stefan Böhmer, der Ittner im Prozess 2005 vertrat. Er will nicht einmal sagen, ob er noch das Mandat für den bekannten Neonazi innehat. Denn auch für Böhmer, der immer behauptete, nicht zu wissen, wo sich Ittner aufhalte und versteckt habe, hatte der Prozess ein Nachspiel: Während des Verfahrens stellte der Rechtsanwalt mehrere Beweisanträge, die von der Staatsanwaltschaft als volksverhetzend eingestuft wurden. In einem stellte er die Tötung von Juden in Auschwitz in Frage.
Aufforderungen, derartige Äußerungen zu unterlassen, ignorierte Böhmer ebenso wie die Hinweise, dass diese strafbar sein könnten. Im Gegenteil: In seinem Schlussplädoyer präsentierte er gar eine Art Zusammenfassung irritierender Aussagen.
Am Tag der Urteilsverkündung machte der Verteidiger aus dem fränkischen Uttenreuth seinem Unmut mit bedeutender Geste Luft: Demonstrativ marschierte er aus dem Sitzungssaal, als der Vorsitzende Richter Peter Stockhammer das Wort ergriff, um das Urteil zu begründen und Ittner als "hassgeblendeten Demagogen" und seine Auftritte als "Politschau bis zum Erbrechen" bezeichnete. Wegen seiner volksverhetzenden und rassistischen Äußerungen wurde Böhmer in einem anschließenden Verfahren zu einer Geldstrafe von mehr als 2000 Euro verurteilt.
Gerhard Ittner aus Zirndorf nahe Nürnberg gilt als radikale Figur der fränkischen Neonazi-Szene, glühender Adolf-Hitler-Verehrer, fanatischer Versammlungsredner. Die Polizei wertete ihn vor seinem Abtauchen als Schlüsselfigur der rechtsradikalen Szene in Mittelfranken. Ittner, der in Deutschland Sozialhilfe bezog, antwortete auf die Frage, welchem Beruf er nachgehe, stets: "Sachwalter des Deutschen Reichs".
Während seines Verschwindens tauchten in einschlägigen Internetforen anonymisierte volksverhetzende Kommentare auf, die Fahnder dem bekennenden Holocaust-Leugner zuordneten. Weggefährten beschreiben ihn als kompromisslos und schwierig, mit rechtsextremistischen Parteien wie der DVU und der NPD tat er sich zusammen, ging aber im Streit auseinander.
Wusste Ittner von der Existenz des NSU?
Seit Anfang der neunziger Jahre pflegte Gerhard Ittner, genannt Gerd, Kontakt zur Thüringer Neonazi-Szene und dem Umfeld der Rechtsterroristen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). So unterstützte er den einstigen thüringischen NPD-Landesvorstand Ralf Wohlleben, der sich gern mit bekannten Rechtsextremen Deutschlands umgab und sie zu Veranstaltungen im Osten rekrutierte. Ittner erschien mehrmals beim Thüringentag der Nationalen Jugend, den Wohlleben organisierte.
Mit Wohlleben war Ittner Redner am 18. Oktober 2003 auf einer Neonazi-Demonstration in Erfurt. Der NPD-Funktionär sitzt seit November als mutmaßlicher Unterstützer des NSU-Trios in Untersuchungshaft. Ittner trat auch bei Veranstaltungen des Thüringer Heimatschutzes (THS) auf, dem auch Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos angehörten.
Ittner, einst führender Aktivist des ausländerfeindlichen Vereins "Bürgerinitiative Ausländerstopp" in Nürnberg, hielt auch Kontakt zu Patrick Wieschke, Mitglied im NPD-Parteipräsidium, stellvertretender Kreisvorsitzender der NPD im Wartburgkreis und einst Chef des "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Westthüringen" (NSAW). Wieschke wurde verurteilt, weil er andere dazu anstiftete, am 10. August 2000 in Eisenach einen türkischen Imbiss in die Luft zu jagen. Kurz nach der Detonation wurde er nahe dem Tatort festgenommen.
Wusste Gerhard Ittner von der Existenz des NSU? Gar von den Morden, die Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in ihrer ausländerfeindlichen Mission begangen hatten?
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth konzentriere sich bislang nur darauf, dass Ittner ausgeliefert werde, um seine Strafe von zwei Jahren und neun Monaten abzusitzen, sagt Oberstaatsanwältin Gabriels-Gorsolke. Die Bundesanwaltschaft werde jedoch eine mögliche Rolle Ittners im Zusammenhang mit dem NSU prüfen.
"Von jetzt ab wird zurückgeschossen"
Nach Informationen von "Blick nach Rechts" soll Ittner am 26. August 2000 in Nürnberg ein Flugblatt an Autofahrer verteilt haben, in dem er das "Unternehmen Flächenbrand" ausrief. Im Text hieß es: "1. September 2000 - von jetzt ab wird zurückgeschossen." Laut "Blick nach Rechts" endet der Text mit dem Satz: "Weitere Anordnungen abwarten (Mittwochsdossier bzw. Angriff)". Am 9. September 2000 wurde der erste NSU-Mord begangen: der Blumenhändler Enver Simsek wurde in Nürnberg erschossen, mehrere der insgesamt zehn Morde wurden an einem Mittwoch verübt, drei davon in Nürnberg und zwei in München.
Die rechte Szene ist gut vernetzt, die gemeinsame Ideologie schafft bei
Gesinnungsgenossen länderübergreifend Vertrauen. Im Zusammenhang mit
Gerhard Ittner taucht nun auch erneut der Name Mandy S. auf. In der
abgebrannten Wohnung des Terror-Trios in Zwickau fanden Ermittler
Mitgliedsausweise für zwei Tennisvereine sowie Impfpässe für die beiden
Katzen, die Beate Zschäpe gehörten - alle ausgestellt auf den Namen
Mandy S.
Mandy S. existiert tatsächlich,
sie verkehrte Ende der neunziger Jahre in der rechtsextremen "Blood
& Honour"-Szene, Sektion Sachsen, engagierte sich für die
rechtsextreme "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und
deren Angehörige" (HNG), die verurteilte Straftäter mit einschlägiger
Gesinnung während und nach ihrer Haft betreut. Bei einer Razzia des
Bundeskriminalamts und der Bundesanwaltschaft im vergangenen Jahr wurde
auch die Wohnung von Mandy S. durchsucht.
Mandy S., im Juni 1975 in Erlabrunn geboren und in Johanngeorgenstadt im Erzgebirge aufgewachsen, ist nach Informationen von "Blick nach Rechts" 2001 ins mittelfränkische Büchenbach im Landkreis Roth gezogen und soll im Juli 2001 beim Schlesier-Treffen in Nürnberg Flugblätter verteilt haben - gemeinsam mit Gerhard Ittner.
Sieben Jahre lang fahndete die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit internationalem Haftbefehl nach Ittner, seit Anfang Mai sitzt er nun im portugiesischen Beja in Auslieferungshaft.
Ende März hatte die Staatsanwaltschaft die Nachricht erhalten, dass Ittner lokalisiert werden konnte, wie Oberstaatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke erklärt. Daraufhin habe die Behörde umgehend einen Europäischen Haftbefehl an Portugal geschickt und um Festnahme und Auslieferung gebeten. Am 11. April wurde Ittner festgenommen, die portugiesischen Behörden müssen nun prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Auslieferung vorliegen. "Wir warten auf die Entscheidung aus Portugal", so Gabriels-Gorsolke.
"Hassgeblendeter Demagoge"
"Ich gebe zu diesem Thema keine Auskunft", sagt Rechtsanwalt Stefan Böhmer, der Ittner im Prozess 2005 vertrat. Er will nicht einmal sagen, ob er noch das Mandat für den bekannten Neonazi innehat. Denn auch für Böhmer, der immer behauptete, nicht zu wissen, wo sich Ittner aufhalte und versteckt habe, hatte der Prozess ein Nachspiel: Während des Verfahrens stellte der Rechtsanwalt mehrere Beweisanträge, die von der Staatsanwaltschaft als volksverhetzend eingestuft wurden. In einem stellte er die Tötung von Juden in Auschwitz in Frage.
Aufforderungen, derartige Äußerungen zu unterlassen, ignorierte Böhmer ebenso wie die Hinweise, dass diese strafbar sein könnten. Im Gegenteil: In seinem Schlussplädoyer präsentierte er gar eine Art Zusammenfassung irritierender Aussagen.
Am Tag der Urteilsverkündung machte der Verteidiger aus dem fränkischen Uttenreuth seinem Unmut mit bedeutender Geste Luft: Demonstrativ marschierte er aus dem Sitzungssaal, als der Vorsitzende Richter Peter Stockhammer das Wort ergriff, um das Urteil zu begründen und Ittner als "hassgeblendeten Demagogen" und seine Auftritte als "Politschau bis zum Erbrechen" bezeichnete. Wegen seiner volksverhetzenden und rassistischen Äußerungen wurde Böhmer in einem anschließenden Verfahren zu einer Geldstrafe von mehr als 2000 Euro verurteilt.
Gerhard Ittner aus Zirndorf nahe Nürnberg gilt als radikale Figur der fränkischen Neonazi-Szene, glühender Adolf-Hitler-Verehrer, fanatischer Versammlungsredner. Die Polizei wertete ihn vor seinem Abtauchen als Schlüsselfigur der rechtsradikalen Szene in Mittelfranken. Ittner, der in Deutschland Sozialhilfe bezog, antwortete auf die Frage, welchem Beruf er nachgehe, stets: "Sachwalter des Deutschen Reichs".
Während seines Verschwindens tauchten in einschlägigen Internetforen anonymisierte volksverhetzende Kommentare auf, die Fahnder dem bekennenden Holocaust-Leugner zuordneten. Weggefährten beschreiben ihn als kompromisslos und schwierig, mit rechtsextremistischen Parteien wie der DVU und der NPD tat er sich zusammen, ging aber im Streit auseinander.
Wusste Ittner von der Existenz des NSU?
Seit Anfang der neunziger Jahre pflegte Gerhard Ittner, genannt Gerd, Kontakt zur Thüringer Neonazi-Szene und dem Umfeld der Rechtsterroristen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). So unterstützte er den einstigen thüringischen NPD-Landesvorstand Ralf Wohlleben, der sich gern mit bekannten Rechtsextremen Deutschlands umgab und sie zu Veranstaltungen im Osten rekrutierte. Ittner erschien mehrmals beim Thüringentag der Nationalen Jugend, den Wohlleben organisierte.
Mit Wohlleben war Ittner Redner am 18. Oktober 2003 auf einer Neonazi-Demonstration in Erfurt. Der NPD-Funktionär sitzt seit November als mutmaßlicher Unterstützer des NSU-Trios in Untersuchungshaft. Ittner trat auch bei Veranstaltungen des Thüringer Heimatschutzes (THS) auf, dem auch Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos angehörten.
Ittner, einst führender Aktivist des ausländerfeindlichen Vereins "Bürgerinitiative Ausländerstopp" in Nürnberg, hielt auch Kontakt zu Patrick Wieschke, Mitglied im NPD-Parteipräsidium, stellvertretender Kreisvorsitzender der NPD im Wartburgkreis und einst Chef des "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Westthüringen" (NSAW). Wieschke wurde verurteilt, weil er andere dazu anstiftete, am 10. August 2000 in Eisenach einen türkischen Imbiss in die Luft zu jagen. Kurz nach der Detonation wurde er nahe dem Tatort festgenommen.
Wusste Gerhard Ittner von der Existenz des NSU? Gar von den Morden, die Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in ihrer ausländerfeindlichen Mission begangen hatten?
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth konzentriere sich bislang nur darauf, dass Ittner ausgeliefert werde, um seine Strafe von zwei Jahren und neun Monaten abzusitzen, sagt Oberstaatsanwältin Gabriels-Gorsolke. Die Bundesanwaltschaft werde jedoch eine mögliche Rolle Ittners im Zusammenhang mit dem NSU prüfen.
"Von jetzt ab wird zurückgeschossen"
Nach Informationen von "Blick nach Rechts" soll Ittner am 26. August 2000 in Nürnberg ein Flugblatt an Autofahrer verteilt haben, in dem er das "Unternehmen Flächenbrand" ausrief. Im Text hieß es: "1. September 2000 - von jetzt ab wird zurückgeschossen." Laut "Blick nach Rechts" endet der Text mit dem Satz: "Weitere Anordnungen abwarten (Mittwochsdossier bzw. Angriff)". Am 9. September 2000 wurde der erste NSU-Mord begangen: der Blumenhändler Enver Simsek wurde in Nürnberg erschossen, mehrere der insgesamt zehn Morde wurden an einem Mittwoch verübt, drei davon in Nürnberg und zwei in München.
Mandy S., im Juni 1975 in Erlabrunn geboren und in Johanngeorgenstadt im Erzgebirge aufgewachsen, ist nach Informationen von "Blick nach Rechts" 2001 ins mittelfränkische Büchenbach im Landkreis Roth gezogen und soll im Juli 2001 beim Schlesier-Treffen in Nürnberg Flugblätter verteilt haben - gemeinsam mit Gerhard Ittner.
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